Engin Eroglu, Europaabgeordneter der FREIE WÄHLER, Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, äußert sich zur derzeitigen Lage in Syrien: "Der Krieg in Syrien dauert nunmehr seit 10 Jahren an, und auch um Idlib wird seit Monaten gekämpft. Es brauchte 13 000 Flüchtlinge an den EU-Grenzen, und erst jetzt wollen die EU, die UN und weitere Regierungen und internationale Gremien verstärkt über einen Waffenstillstand und mögliche Lösungen diskutieren. Seit 2011 wird die westliche Politik gegenüber Syrien durch eine große Kluft zwischen Rhetorik und Handeln, schlechter Kommunikation mit Verbündeten und mangelnden Visionen untergraben. Die Wahrheit ist, dass der Angriff auf Idlib lange vorhersehbar war und die EU hätte vorbereitet sein müssen. Die Idee einer Schutzzone um Idlib muss dringend weiterverfolgt, und durch internationales Drängen vor dem UN-Sicherheitsrat praktisch umgesetzt werden. Dafür müssen wir uns auch weiterhin mit Nachdruck einsetzten, denn nur so kann das Leid der Bevölkerung gelindert werden. Mit jedem Tag, der vergeht, wird dieser Aufruf dringlicher.“
Der Migrationszulauf seit dem Wochenende, insbesondere an der türkisch-griechischen Grenze, hat in den letzten Tagen zu dramatischen Geschehnissen in der Grenzregion geführt. Auch Eroglu äußert sich besorgt zu der Lage an den griechischen Grenzposten, sieht aber die eigentliche Problematik an anderer Stelle: „Die griechischen Behörden sehen sich mit einem Zustrom einer großen Zahl von Menschen konfrontiert, die effektiv dazu ermutigt wurden, zu glauben, dass sie plötzlich in die EU einreisen dürfen. Diese Menschen wurden zu Propagandazwecken der türkischen Regierung genutzt, um Druck gegenüber der EU auszuüben. 13.000 Migranten und Geflüchtete bedrohen jedoch nicht die Identität von 500 Millionen Europäern.
Das eigentliche Problem ist weiterhin das Schicksal der über sechs Millionen Binnenvertriebenen, von denen allein mehr als 948.000 Menschen in Nordwestsyrien seit Dezember 2019 vertrieben worden. Die meisten dieser 948.000 Menschen befinden sich jetzt in den Regierungsbezirken Nord-Idlib und Aleppo, was die ohnehin schon katastrophale humanitäre Situation dort noch verschlimmert. Die Bereitstellung von lebensrettender Nothilfe für Binnenvertriebene in Nordost-Syrien, Rukban und Idlib sowie der Schutz und die Unterstützung von Binnenvertriebenen muss Priorität haben. Die Türkei beherbergt bereits 3,7 Millionen Syrer, und eine weitere Million syrischer Geflüchteter lebt unmittelbar vor ihrer Grenze und ist auf die humanitäre Hilfe der Türkei angewiesen. Um das Land zu entlasten muss die finanzielle Hilfe für diese Geflüchteten sichergestellt sein. Die meisten der Vertriebenen, die vor der Gewalt in Syrien fliehen, machen sich zudem auf den Weg in den Libanon, den Irak und nach Jordanien. Wir müssen diesen Menschen und den Aufnahmegesellschaften im Angesicht dieser Herausforderung beiseite stehen. Dazu brauchen wir gemeinsames Engagement und volle Solidarität von unseren europäischen Partnern, um das Schicksal der Zuflucht suchenden im Einklang mit internationalen Menschenrechtsnormen zu sichern.“
Um das Leid der Menschen vor Ort zu lindern und zwischen der türkischen und russischen Regierung zu vermitteln, ist es zentral die kriegführenden Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Eine Lösung derSituation wird dabei nur durch einen Dialog zwischen den beiden Regierungen möglich sein. Eroglu: „Wir müssen auf einen Gipfel zwischen der EU, Vertretern Russlands und der Türkei drängen, damit der militärische Angriff beendet wird. Wir brauchen ein Ende der Kämpfe und Zugang zu Sicherheit um Leben zu retten. Weitere Eskalationen drohen in einer gefährlichen Konfrontation zwischen der Türkei und Russland zu münden. Russlands Regierung hat ihren Einfluss über Jahre hinweg in Syrien gefestigt. Unter den derzeitigen Umständen gibt es für die russische Regierung keine Anreize, ihre Syrien-Strategie zu ändern. Die EU muss daher zur Deeskalation in Idlib beitragen, die russische Regierung diplomatisch als Partner einbinden und gleichzeitig gezielt Druck ausüben. Das größte Druckmittel, das die EU besitzt, ist die Wirtschaft. Wirtschaftssanktionen und Diplomatie könnten mehr Handlungsspielraum schaffen.“